Die wahre Geschichte der Schneekönigin

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Pünktlich zum 1. Advent treffen Schnee- und Sturmwarnungen ein. Das erinnert mich an Märchen über die Schneekönigin.

Mit einem kurzen Weihnachtsmärchen „Die wahre Geschichte der Schneekönigin“ von Nathalie Gnann wünsche ich allen meinen Lesern einen schönen 1. Adventssonntag.

 

 

Unzählige Schneeflocken fielen vom Himmel und stachen ihnen kalt ins Gesicht. Aus ihren Atemwölkchen formten sich sonderbare Gestalten – Pferde mit wehender Mähne, kleine Dämonen, flatterhafte Feen – und sprangen vor ihnen her durch die Luft. Die Kinder liefen schnell durch das Schneegestöber und schützten ihre Gesichter mit den Armen gegen den eisigen Wind, der ihnen um die Ohren pfiff. Und obwohl sie bis zum Knie in der weißen Masse versanken, stapften sie stetig auf ihr Ziel zu. Bald kam eine kleine Holzhütte in Sicht, aus deren Kamin es verheißungsvoll rauchte. Mit den klammen verfrorenen Fäusten klopften sie fest an und hofften, dass man sie schnell einlassen würde.

Da waren auch schon Schritte zu hören und eine freundlich lächelnde alte Dame öffnete die Tür. „Schön, dass ihr da seid, Kinder. Kommt schnell rein, ihr zittert ja vor Kälte.“ Das Mädchen und sein kleiner Bruder ließen sich das nicht zweimal sagen und huschten sogleich an ihr vorbei ins Warme. Die Frau nahm den beiden ihre Mäntel und Mützen ab und versorgte sie mit heißem Tee und Keksen. Dann machten sie es sich in Decken gemummelt vor dem flackernden Kaminfeuer gemütlich. „Draußen ist es wohl ziemlich kalt geworden, was?“, erkundigte sie sich bei den Kindern und nahm in ihrem Ohrensessel Platz. „Und wie! Da hat die Schneekönigin wieder mal ihre kalten Krieger ausgeschickt!“ Das Gesicht des kleinen Jungen leuchtete begeistert auf vor Stolz, dass er so eine intelligente Redensart aufgeschnappt hatte. Er war um die fünf Jahre alt, seine Schwester mit dem klugen Ausdruck in den Augen vier Jahre älter. Die beiden besuchten die alte Frau gerne, da es immer leckeren Tee und Kekse gab und sie wunderbare Geschichten erzählen konnte. Und die Frau, deren Namen übrigens Maud war, liebte die Kinder.

Doch jetzt schüttelte sie leicht den Kopf. „Was wisst ihr über die Schneekönigin?“, wollte sie von den beiden wissen. Das Mädchen wickelte sich nachdenklich eine Haarlocke um den Finger. „Nicht viel. Uns ist nur bekannt, dass sie sehr grausam ist. Sie lebt im hohen Norden, wo das Eis niemals schmilzt. Wer sie erblickt bekommt ein Herz aus Eis, das keine Freude mehr fühlen kann und sie schickt ihre Schneesoldaten in alle Lande und macht das Leben düster und schwer. Denn mit der Kälte kommt auch die Traurigkeit. Manchmal entführt sie auch Kinder, doch bis jetzt ist es nur einem Jungen gelungen zu fliehen.“

Maud blickte sie traurig an. „Da habt ihr ja schöne Geschichten gehört! Ich denke es wird Zeit, dass ihr die wahre Geschichte erfahrt.“ Sie nahm einen Schluck warmen Tee und begann ihre Erzählung.

„Die Schneekönigin lebte seit Anbeginn der Zeit in ihrem Eisschloss am Nordpol unserer Welt. Sie war die Herrin über Schnee und Eis, aber auch über alle Tiere und Menschen, die auf ihrem Gebiet lebten. Sie hatte viele Freunde, unter andern auch Väterchen Frost, der Eisbärenfürst, der Prinz der Wolken und der Herrscher der Meere. In ihrem Schneepalast wurden oft rauschende Feste gefeiert und das ewige Eis sprühte nur so vor Leben, das vor unseren Augen allerdings wohl verborgen war. Die Schneekönigin hatte die Macht über Schnee und Eis, jedoch wurde diese Macht immer schwächer über die Grenzen ihres Reiches hinaus. Sie unterstützte die Menschen immer wo sie es konnte. Den Menschen und Tieren in ihrem Reich half sie, sich anzupassen und für die Menschen anderer Reiche schränkte sie den Schnee und die Kälte im Winter oft soweit ein, wie es ihr möglich war, damit sie nicht erfroren. Dann kam es jedoch zu einem tragischen Vorfall. Etwas Düsteres schlich sich in ihr Land ein und hielt sich vor ihren Augen wohlverborgen. Es säte Zweifel und Zwietracht unter ihrem Volk und brachte die Wesen verschiedenster Art gegen ihre Herrscherin auf. Sie wünschten sich mehr Wärme und fruchtbarere Böden. Die Geschichten über andere Länder hatten sie dazu gebracht, davon zu träumen. So wandte sich das halbe Volk von der Schneekönigin ab und wanderte aus in wärmere Gegenden und die meisten anderen begannen zu rebellieren. Der Dunkle rieb sich freudig die Hände, als sein Plan aufzugehen schien.

Eines Tages stürmte er mit einer Truppe Unzufriedener den Eispalast, dessen lebhafte Hallen inzwischen ruhig und wie ausgestorben dalagen, und stürzten die Schneekönigin. Sie wurde gemeinsam mit ihren Freunden verbannt, nur der Herrscher der Meere war zu mächtig und widersetzte sich dem Dunklen. Der Dunkle wurde der neue Herrscher und er regierte das Land grausam und kalt, denn seine Kälte war so ganz anders, als die der Schneekönigin. In seiner Kälte lag Misstrauen, Angst und Trauer. Lachend sah er die Königin, Väterchen Frost, den Wolkenprinz und den Eisbärenfürsten davon ziehen. Der Wolkenprinz zog sich in sein eigenes Reich zurück, der Eisbärenfürst zog es vor am äußersten Rand des Nordens zu wohnen. Die Schneekönigin und Väterchen Frost wurden dagegen unbarmherzig in die wärmeren Lande getrieben. Eine Zeit lang suchten sie noch nach Verbündeten, die ihnen helfen könnten das Dunkel zu stürzen, doch schließlich wurden sie des Lebens müde und starben. Der Legende nach soll die Schneekönigin allerdings ein Kleinod zurückgelassen haben, welches eines Tages ihrer wahren Erbin in die Hände fallen soll. Diese wahre Erbin der Schneekönigin wird dann den Kreis der Freunde wieder erneuern und gegen den dunklen Fürst im hohen Norden ziehen. Dem düsteren Herrscher ist dies auch zu Ohren gekommen und darum sendet er seine Schneeflockenheere bis zu uns und noch weiter, um diese Erbin zu finden. Das ist der Grund, weshalb unsere Winter immer härter werden. Das war die wahre Geschichte der Schneekönigin.“

Maud nahm noch einen Schluck Tee und schmunzelte über die gespannten Gesichter der Kinder. Dann fiel ihr noch etwas ein und sie sprach weiter, bevor die Kinder wieder drauf losplappern würden.

„Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen! Der Herrscher der Meere bekämpft den Dunklen noch heute. Er hat sehr große Macht und wo seine Gewässer an eine Küste des Nordreiches grenzen, lässt er die Wellen an dem Eis lecken und schmilzt somit die Küsten des eisigen Landes. Er verkleinert dadurch das Herrschaftsgebiet des Dunklen, doch es ist unwahrscheinlich, dass er eines Tages bis zum Eispalast vordringen kann.“

Die alte Frau lehnte sich zufrieden in ihrem Sessel zurück.

„Das war eine schöne Geschichte.“ Das Mädchen blickte sie mit großen Augen an und der Junge nickte mit ernstem Kindergesicht.

Maud lächelte. „Schön, dass sie euch gefallen hat.“ Sie sah aus dem Fenster. Es war inzwischen schon fast dunkel geworden und der Schneesturm hatte kaum nachgelassen. Immer noch wirbelte die weiße Pracht vom Himmel und versperrte die Sicht. Die Frau erhob sich. „Es ist besser, wenn ihr jetzt geht, eure Mutter wartet sicher schon.“ Sie holte die Mäntel, gab jedem Kind noch einen Keks und drückte ihnen freundlich die Hand zum Abschied. Dann blickte sie den beiden lange nach, wie sie lachend im Schneegestöber verschwanden.

Schließlich ging sie zurück in die Stube. Sie wärmte ihre kalten Finger am Kamin und nahm dann ein kleines Holzkästchen vom Kaminsims. Sie öffnete es und betrachtete seinen Inhalt. Ein feines Silberdiadem mit glänzenden Kristallen funkelte ihr entgegen. Maud seufzte und klappte den Deckel wieder zu. Vielleicht würde sie die wahre Erbin der Schneekönigin nie finden, aber wenigstens hatte sie in dem kleinen Mädchen jetzt schon eine weitere Hüterin des Kleinods gefunden.

Zufrieden setzte sie sich in ihren Sessel und nahm einen Schluck Tee, der sie angenehm von innen wärmte.

(Quelle. www.kurzgeschichten-verlag.de)

4 Responses

  1. Önzi

    Irgendwie kommt der Winter aber nicht in Schwung (ich bin nicht traurig drüber….)und bis Mitte Dezember ist noch kein Schneegestöber in Sicht .
    mal schauen , wie es sich weiter entwickelt.
    Als ständig AutofahrerIn zählt jeder Tag ohne Schneechaos.
    Trotsdem wäre ein richtig knackig kalter Tag mit Schnee bei Sonnenschein und einem Waldspaziergang auch ganz nett ☺️
    Lieben Gruß

    • Marina

      Lieber Önzi,
      es gab schon Jahre, da bin ich um diese Zeit fast mit dem Auto im Schnee stecken geblieben. Parken am Straßenrand war auch nicht möglich.
      Insofern ergeht es uns im Moment ganz gut.
      Viele Grüße, Marina

  2. Joachim

    Guten Abend Marina,
    diese wahre Geschichte von der Schneekönigin gelesen zu haben, hat mir gut getan. Ich hoffe, die wahre Erbin wird wieder in den Palast am Nordpol einziehen und das Eis vorm Zerschmelzen retten. Vielen Dank und eine schöne Zeit bis Weihnachten.
    Herzl. Gruß
    Joachim

    • Marina

      Lieber Joachim,
      ich freue mich, daß Ihnen die Geschichte gut gefallen hat. Sie ist mal ganz anders erzählt.
      Es hoffen und wünschen sich bestimmt viele Menschen, daß der Eispalast am Nordpol gerettet wird.
      Viele Grüße in das vorweihnachtliche Lychen, Marina.

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